Net-zero emissions Circular economy

Die Erfassung des CO₂-Fußabdrucks: Die nächste Evolutionsstufe der Buchhaltung

In jüngster Zeit fordern Investoren und Regierungen immer präzisere, detaillierte und überprüfbare Emissionsdaten über den gesamten Lebenszyklus einzelner Produkte oder Dienstleistungen hinweg – nicht mehr nur allgemeine Schätzungen zu den Gesamtemissionen eines Unternehmens. Solche Daten gelten als unverzichtbar, um eine signifikante globale Reduktion von Treibhausgasen zu erreichen und eine Kreislaufwirtschaft zu verwirklichen.

Die Buchhaltung existiert seit Tausenden von Jahren und hat sich mit der Zivilisation stetig weiterentwickelt. In Zeiten des Tauschhandels bedeutete Buchhaltung, den Überblick über getauschte und erhaltene Waren zu behalten. Ursprünglich wurden Aufzeichnungen mit Gegenständen wie Tonmarken geführt, später möglicherweise in Tafeln geritzt, und mit zunehmendem Handelsvolumen schließlich mit Hilfe von Rechenhilfen wie Abakusperlen erstellt – daher der Begriff „Beanzähler“ für Buchhalter.

Mit der Einführung von Papier und Geld wurden Buchhalter beauftragt, Bücher zu führen, in denen Besitz und Verbindlichkeiten dokumentiert wurden. Im 14. Jahrhundert führte der italienische Mathematik-Mönch Pacioli, der als „Vater der Buchhaltung“ gilt, das System der doppelten Buchführung und Bilanzierung ein.

Mit dem Aufstieg des Kapitalismus und der Entstehung von Unternehmen sowie zunehmend integrierter, schnellerer und umfangreicherer Märkte und Geschäftsabschlüsse wuchs der Bedarf an Informationen für Investitionsentscheidungen. Die Buchhaltung wurde komplexer. Detaillierte Finanzberichte mit Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Cashflow-Statements wurden zunächst jährlich, später vierteljährlich veröffentlicht, um die finanzielle Gesundheit eines Unternehmens zu demonstrieren. Parallel dazu entwickelte sich die Buchhaltung zu einem anerkannten Beruf und einer akademischen Disziplin.*1

Heute befinden wir uns in der nächsten Evolutionsstufe der Buchhaltung. Die jüngste Entwicklung – oft als „DNA des Kapitalismus“*2bezeichnet – umfasst Bemühungen, präzise Kennzahlen für die nicht-finanziellen Aspekte der Geschäftstätigkeit eines Unternehmens zu liefern. Diese umfassen die Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG – Social, Environmental, Governance). Der Schwerpunkt liegt dabei insbesondere auf der Erfassung und Steuerung des Umweltaspekts, also vor allem auf der Messung von Kohlenstoffemissionen sowie der Bewertung von Klimarisiken und -auswirkungen.

Der Trend zur produktbezogenen Emissionsbilanzierung

Hinter diesem Trend steht das Ziel, die Emissionen auf unserem Planeten zu reduzieren. Konkret umgesetzt wird dies durch Regulierungsbehörden und Investoren, die Systeme schaffen, um präzise und detaillierte Informationen zur Überprüfung von Emissionsangaben bereitzustellen.

In den letzten Jahren wurden Regelwerke und politische Maßnahmen - wie das EU-Emissionshandelssystem und das CBAM, die Buy Clean Initiative und die IRA-Programme der US-Bundesstaaten - verabschiedet, die sich auf eine solche produktbezogene Emissionsbilanzierung stützen.*3 Diese regulatorischen Vorgaben machen eine detaillierte Kohlenstoffbilanzierung zunehmend unausweichlich und bedeutend, insbesondere für Unternehmen, die in Europa tätig sind.

Ab 2026 wird die EU ein strengeres System einführen, um einen fairen Preis für die bei der Produktion kohlenstoffintensiver Güter emittierten Treibhausgase festzulegen. Betroffene Branchen sind unter anderem Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemittel, Elektrizität, Wasserstoff, Chemikalien sowie Produkte aus Stahl und Aluminium. Importeure dieser Waren müssen nicht nur theoretische, sondern tatsächliche Kohlenstoffbilanzen nachweisen und den CO₂-Preis durch den Kauf von CBAM-Zertifikaten entrichten, basierend auf den gesamten CO₂-Emissionen während der Produktion.*4

Auch der wachsende Trend zu ESG-Investments treibt die Weiterentwicklung der Kohlenstoffbilanzierung voran.*5 Von den geschätzten 30 Billionen USD, die 2022 in ESG-konformen Vermögenswerten investiert waren, entfiel ein Großteil auf die Reduzierung von Treibhausgasemissionen.*6 Mit immer strengeren Vorgaben zur Berichterstattung steigt der Druck, Emissionen in Investitionen genau und transparent zu bilanzieren.*7

Containerhafen

Erfassung der Kohlenstoffemissionen über den gesamten Produktzyklus

Zu wissen, wie viele Treibhausgase (THG) für eine bestimmte Dienstleistung oder ein bestimmtes Produkt ausgestoßen wurden, ist wichtig. Es schafft mehr Transparenz für Investoren und Regierungen sowie verwertbare Daten entlang der gesamten Lieferkette, damit Produzenten und Anbieter Emissionen – insbesondere an „Hotspots“ – gezielter reduzieren können.*8 Die Fähigkeit, eine präzise Nachverfolgung und Berichterstattung des „Carbon Footprint of Product“ (CFP) zu ermöglichen, ist auch entscheidend, um eine Kreislaufwirtschaft zu verwirklichen.*9

„Klare und einheitliche Rahmenwerke zur Bilanzierung eingebetteter Emissionen können Unternehmen zahlreiche Vorteile bringen. Dazu gehören der Nachweis ihrer CO₂-armen Kompetenzen, um neue Märkte zu erschließen, regulatorische und marktbezogene Wettbewerbsfähigkeit zu erlangen, niedrigere Handelsbarrieren für vereinbarte Umweltgüter zu nutzen und Subventionen sowie Steuervergünstigungen im Rahmen grüner Industriepolitiken in Anspruch zu nehmen“, erklären die Autoren eines Berichts des Weltwirtschaftsforums zur Emissionsbilanzierung.

Doch die Erfassung von Emissionen „vom Ursprung bis zum Werkstor“ ist eine komplexe Aufgabe.

Besonders schwierig ist dies bei Scope-3-Emissionen, die den Großteil der in einem Produkt eingebetteten THG-Emissionen ausmachen. Diese Emissionen entstehen durch die Aktivitäten zahlreicher Lieferanten, Kunden und die tatsächliche Nutzung eines Produkts.

Die Herausforderung besteht darin, zuverlässige Messungen aus allen Quellen und von allen Beteiligten entlang der Lieferkette zu erhalten. Hinzu kommt die Notwendigkeit, diese Daten zu integrieren und so zu verknüpfen, dass Berichte erstellt werden können, die den unterschiedlichen und sich weiterentwickelnden regulatorischen Vorgaben und Investitionsstandards entsprechen. Schließlich erfordert dies einen branchenweiten Datenaustausch und Zusammenarbeit.*10

Oder wie es in dem Bericht heißt: „Die Welt braucht die Emissionssenkungen und andere Vorteile, die die Kreislaufwirtschaft bieten kann. Über Länder und Sektoren hinweg müssen wir zusammenkommen und uns intensiv mit der komplexen Welt der Emissionsbilanzierung für zirkuläre Produkte beschäftigen.“

Yokogawa ist Experte für die Messung, Vernetzung und Integration von Betriebs- und Informationstechnologie. Mit dem Carbon Footprint Tracer bietet das Unternehmen eine technologische Lösung für diese Herausforderung.

Der Cloud-Dienst erfasst und berechnet CO₂-Emissionen entlang der Lieferkette für die Prozessfertigungsindustrie. Dabei werden Yokogawas Technologien zur Erfassung von Scope-1- und Scope-2-Emissionen mit dem SAP® Sustainability Footprint Management und ERP-Lösungen kombiniert, um auch Scope-3-Emissionen zu berücksichtigen.

Die Lösung basiert auf der Nachverfolgung verschiedenster Daten (z. B. Energieverbrauch, Rohstoffinformationen, Produktionsspezifikationen, Versanddetails), die aus Fabriken gesammelt werden, um eine bisher unerreichte Präzision in der CO₂-Bilanzierung zu erzielen. Diese Daten werden an ein vor Ort eingerichtetes Edge-Gateway übertragen, sortiert, mit Zeitstempeln versehen und in die Yokogawa-Cloud übermittelt.

Die Genauigkeit des Tracers wird erhöht, indem üblicherweise nicht erfasste Materialien und Prozesse berücksichtigt werden, die bei der Produktion eines einzelnen Produkts Emissionen verursachen. Dazu gehören sogenannte „indirekte Materialien“ wie Chemikalien für die Galvanisierung, Reinigungsmittel sowie Strom- und Gasrechnungen für Bürogebäude innerhalb der Fabriken.

Diese Produktionsdaten werden mit den Diensten von SAP kombiniert, die Emissionsdaten spezifischer Produkte entlang der Lieferkette bereitstellen und so Scope-3-Emissionen erfassen.

Darüber hinaus ermöglicht die Partnerschaft mit SAP die Visualisierung und Verwaltung des CFP nach europäischen Standards sowie die Erstellung von Emissionsberichten, die mit regulatorischen Vorgaben übereinstimmen. Als Cloud-basierte Lösung kann der Dienst kontinuierlich aktualisiert werden, um mit den sich wandelnden Umweltvorschriften und -standards Schritt zu halten.

Konferenz zur Reduzierung von Treibhausgasen

Die Zukunft der Kohlenstoffbilanzierung in einer entkoppelten Welt

Yokogawa geht davon aus, dass viele Branchen vom Carbon Footprint Tracer profitieren werden: von der Öl- und Gasförderung und Raffinierung über Pipelines und andere Transportprozesse bis hin zu Anlagen für Petrochemikalien, Chemikalien, erneuerbare Energien, Stromerzeugung, Papier- und Zellstoffproduktion, Lebensmittel- und Pharmaindustrie, Stahl, Nichteisenmetalle sowie Wasserverteilung und -aufbereitung.

Der Tracer ist ein Beispiel dafür, wie Yokogawa Kunden beim Übergang zu zuverlässiger, nachhaltiger und kostengünstiger Energie unterstützt – und auch ein Beispiel für die Lösungen des Unternehmens auf dem Weg zu einer zirkulären und nachhaltigen Gesellschaft.

Yokogawa ist davon überzeugt, dass die Welt immer mehr zu einem System von Systemen (SoS) zusammenwächst, in dem alles immer enger miteinander verbunden ist. Durch die Integration unabhängig betriebener und verwalteter Systeme in größere Strukturen entstehen Synergien und neuer Wert. Genau diese effektiven Verbindungen möchte Yokogawa durch optimierte Integration, Autonomie und Digitalisierung von Systemen ermöglichen.

Während verschiedene Teile unserer Wirtschaftssysteme immer stärker vernetzt werden, erlebt die Welt gleichzeitig eine bedeutende Entkopplung: Wachstum ist nicht mehr zwangsläufig mit steigenden THG-Emissionen verbunden*11. In dieser neuen Realität überlegen Entscheider, wie die Reduktion von Treibhausgasen nicht eine unvermeidbare Kostenlast, sondern eine Quelle für Wachstum und Profit werden kann.*12 Technologien wie der Carbon Footprint Tracer, die die nächste Stufe der Kohlenstoffbilanzierung ermöglichen, werden dieses entkoppelte Wachstum beschleunigen und sowohl für Volkswirtschaften als auch für Unternehmen neue Geschäftschancen schaffen.

*SAP und andere hier erwähnte SAP-Produkte und -Dienstleistungen sowie die entsprechenden Logos sind Marken oder eingetragene Marken der SAP SE in Deutschland und anderen Ländern. Weitere Informationen und Hinweise zu Marken finden Sie unter https://www.sap.com/copyright. © 2024 SAP SE. Alle Rechte vorbehalten.


Referenzen

*1 Investopedia: https://www.investopedia.com/articles/financialcareers/09/ancient-accounting.asp 
https://www.investopedia.com/articles/08/accounting-history.asp 
Gojo & Company, Inc.: https://gojo.co/how-accounting-can-influence-the-capitalism-transformation-jp 
*2 Financial Times: https://www.ft.com/content/2543a652-3313-45f2-81c8-627a31fc3c1a 
*3Weltwirtschaftsforum: https://www.weforum.org/agenda/2023/09/how-product-embedded-emissions-accounting-frameworks-offer-opportunities-for-circularity/ 
*4 Europäische Kommission: https://taxation-customs.ec.europa.eu/carbon-border-adjustment-mechanism_en 
*5 Weltwirtschaftsforum: https://www.weforum.org/agenda/2022/12/carbon-accounting-what-it-is-and-why-your-company-should-start-doing-it/ 
*6 Bloomberg: https://www.bloomberg.com/company/press/global-esg-assets-predicted-to-hit-40-trillion-by-2030-despite-challenging-environment-forecasts-bloomberg-intelligence/ 
*7 The Economist: https://www.economist.com/business/2022/07/21/can-watershed-corner-the-market-for-carbon-accounting 
*8 Weltwirtschaftsforum: https://www.weforum.org/agenda/2023/09/this-is-why-product-carbon-footprint-exchange-is-the-key-to-scope-3-decarbonization/
Kohlenstoffkette: https://www.carbonchain.com/carbon-reporting 
*9 Weltwirtschaftsforum: https://www.weforum.org/agenda/2023/09/how-product-embedded-emissions-accounting-frameworks-offer-opportunities-for-circularity/ 
*10 Weltwirtschaftsforum: https://www.weforum.org/agenda/2023/09/this-is-why-product-carbon-footprint-exchange-is-the-key-to-scope-3-decarbonization/
Trident Utilities: https://tridentutilities.co.uk/news/overcoming-the-top-five-challenges-of-carbon-accounting 
Kohlenstoffkette: https://www.carbonchain.com/carbon-reporting 
*11 Internationale Energieagentur: https://www.iea.org/commentaries/the-relationship-between-growth-in-gdp-and-co2-has-loosened-it-needs-to-be-cut-completely 
*12 Weltwirtschaftsforum: https://www.weforum.org/agenda/2024/01/decoupling-economic-growth-emissions/