Well-being Yokogawa's technology

Ergonomie: Mehr als Interaktion

„Es irrt der Mensch, solang er strebt“ — Johann Wolfgang von Goethe
Der Mensch macht keine Fehler, wenn er sich nicht anstrengt und nie nach Höherem strebt, sei es bei der Arbeit oder beim Lernen. Aber der Weg zu einem neuen, höheren Ziel verläuft nicht reibungslos. Auch große Sorgfalt und Fleiß können Fehler und Misserfolge nicht ausschließen. Um die Wahrscheinlichkeit solcher Fehler zu reduzieren, hat der Mensch große Anstrengungen unternommen und viel kreative Energie in die Entwicklung verschiedener Werkzeuge und Maschinen gesteckt. Diese Innovationen wurden mit dem Ziel entwickelt, Unfälle zu reduzieren, die Arbeitseffizienz zu erhöhen und physikalische Systeme an die Bedürfnisse des Menschen anzupassen, um die Interaktion zwischen Mensch und Maschine zu optimieren. Aus diesen Bestrebungen hat sich eine Wissenschaft entwickelt, die als „Ergonomie“ bekannt ist.

Die Berücksichtigung des Faktors „Mensch“ bei der Herstellung von Dingen lässt sich bereits über viele Jahrtausende zurückverfolgen. Als Tutanchamun, auch bekannt als König Tut (ägyptischer Pharao der 18. Dynastie, der im 14. Jahrhundert v. Chr. lebte), ein Kind war, hatte der Stuhl, auf dem er regelmäßig saß, eine leicht nach hinten geneigte Fußstütze. Diese Fußstütze ermöglichte ihm als Kind, bequem auf einem Stuhl zu sitzen, der ansonsten zu groß für ihn war. Dies geschah vor etwa 3.000 Jahren. Aus heutiger Sicht war dies die Manifestation eines der Grundprinzipien der Ergonomie.

Heute kann man mit großer Gewissheit sagen, dass das Thema Ergonomie in der Entwicklung von so gut wie allem, was uns im täglichen Leben begegnet, eine Rolle gespielt hat. Ergonomische Grundsätze kommen bei der Gestaltung von Schreibtischen und Stühlen für den täglichen Gebrauch, Computertastaturen und -mäusen, Icons auf Smartphone-Displays, Wendeltreppen, Leitsystemen für Sehbehinderte, Flugzeugcockpits und Kontrollzentren in verschiedensten Einrichtungen zur Anwendung. Und durch diese Dinge und die Auswirkungen, die sie auf die Umgebung haben, wird ein höheres Maß an Verständlichkeit, Benutzerfreundlichkeit und Komfort erreicht.

Blindenschrift für die Füße

Ergonomie ist definiert als „die Wissenschaft, die sich mit dem Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Menschen und anderen Elementen eines Systems befasst, und als Beruf, der Theorie, Grundsätze, Daten und Methoden gestalterisch anwendet, um das menschliche Wohlbefinden und die Gesamtleistung eines Systems zu optimieren“(*1). Mit anderen Worten: Bei der Ergonomie geht es nicht darum, dass sich der Mensch an Werkzeuge und Umgebungen anpasst. Es geht vielmehr darum, Werkzeuge und Umgebungen so zu gestalten, dass diese vom Menschen effektiv genutzt werden können.

Der Begriff „Ergonomie“ lässt sich in das Jahr 1857 zurückverfolgen und wurde von einem polnischen Wissenschaftler geprägt, der die griechischen Wörter „ergos“ (arbeiten) und „nomos“ (Naturgesetz) zusammensetzte und als „Wissenschaft des Arbeitens“ definierte. Ein Nachdruck der entsprechenden Dokumente im Jahr 1997 führte zur internationalen Anerkennung des Begriffs. Die industrielle Revolution nahm in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien ihren Anfang und breitete sich von dort aus allmählich in der ganzen Welt aus. Überall in Europa vollzog sich die Transformation in eine Industriegesellschaft. Die breite Anwendung des Fabriksystems brachte eine zahlenmäßig riesige Arbeiterklasse hervor. Während sich der Lebensstil der Menschen änderte, da das Leben komfortabler wurde, brachte die Revolution auch gesellschaftliche Probleme wie die Ausbeutung dieser Arbeiterschaft mit sich. In einer Zeit, in der die Arbeitswelt drastischen Veränderungen unterlag, begann vor allem in Europa die wissenschaftliche Erforschung des „Zusammenhangs von Arbeit und Gesundheit“. Menschen verrichten verschiedene Arten von Arbeit. Von Tätigkeiten, die das Heben und Tragen von schweren Gegenständen und das Zurücklegen großer Entfernungen erfordern, bis hin zu Berufen, in denen Arbeiter über längere Zeiträume die gleiche Körperhaltung einnehmen, und an monotonen, sich wiederholenden Aufgaben arbeiten. Alle diese Arbeiten führen zur Ermüdung, unabhängig von der Art der Arbeit. Durch die Erforschung von Arbeitsbedingungen, -methoden und -umgebungen mit dem Ziel, eine optimale Arbeitsleistung ohne Ermüdungserscheinungen zu ermöglichen, konnten die Belastungen für den menschlichen Körper reduziert und eine gesundere Lebensweise ermöglicht werden, während gleichzeitig ein wesentlicher Beitrag zur Steigerung der Produktivität und Sicherheit erreicht wurde. Die Entwicklung von Werkzeugen und Arbeitsplätzen auf Grundlage dieser Erkenntnisse hat dabei eine wesentliche Rolle gespielt.

Diese Perspektive ist aber nicht nur auf Werkzeuge, sondern auch auf die Bedienung von Maschinen und die Regelung von Anlagen anwendbar. Die Erforschung menschlicher Faktoren („Human Factors“), eine Wissenschaft, die sich mit dem menschlichen Versagen und menschlichem Fehlverhalten befasst und sich mit der Gewährleistung von Zuverlässigkeit und Sicherheit bei der Bedienung von Maschinen oder Steuerungssystemen durch den Menschen auseinandersetzt, begann in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals in großem Maßstab. Ein besonders beeindruckendes Thema der frühen Forschungsbestrebungen betraf die Verbesserung des Altimeters an Bord von Luftfahrzeugen. Zu dieser Zeit ereigneten sich viele Unfälle aufgrund von Bedienungsfehlern der Piloten. Ein Untersuchungsteam, das sich aus Spezialisten wie Psychologen und Luftfahrtingenieuren zusammensetzte, stellte fest, dass das zum damaligen Zeitpunkt verbreitete Drei-Zeiger-Design die Ablese- und Wahrnehmungsfähigkeiten des Menschen in besonders stressgeprägten Situationen überstieg. Dies führte das Team zu der Schlussfolgerung, dass „Unfälle aufgrund von Bedienungsfehlern auftreten, die durch Piloten verursacht werden, die das Altimeter falsch ablesen.“ Die Berücksichtigung der kognitiven Eigenschaften des Menschen und die Einführung eines Schnittstellendesigns, das für die Piloten, d. h. die Benutzer des Geräts, leichter abzulesen war, trug zur Erhöhung der Flugsicherheit durch eine Reduzierung der Luftfahrtunfälle bei. Parallel zum technologischen Fortschritt sind Systeme immer größer und komplexer geworden. Menschliches Versagen bzw. menschliches Fehlverhalten ist die häufigste Ursache für Unfälle in der Luftfahrt und auch in Fabriken. Ausgehend von Bereichen, in der die Sicherheit eine besonders ausgeprägte Rolle spielt, beispielsweise in der Luft- und Raumfahrt, der Geräte- und Fertigungsindustrie sowie der Medizintechnik werden die Fähigkeiten und besonderen Eigenschaften des Menschen umfassend analysiert. Die Auslegung, Gestaltung und Konstruktion von Systemen erfolgt unter Einbeziehung des Faktors „Mensch“ als Schlüsselelement. Dabei stehen die Beziehungen von Menschen untereinander, aber auch im Besonderen die Verbindung zwischen Mensch und Hardware, Software sowie Umwelt im Fokus.

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts begann die Automatisierung allmählich an Fahrt zu gewinnen. Wir stehen heute vor einer weiteren bedeutenden Transformation, die als vierte industrielle Revolution bezeichnet wird. Dank der Konnektivität, die das Internet der Dinge (IoT) ermöglicht, werden riesige Datenmengen gesammelt. Dieses immense Datenvolumen, das auch unter dem Begriff „Big Data“ bekannt ist, ist zu einer Quelle enormer Wertschöpfung geworden. Und auch durch die Fortschritte in der Robotik, im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) und durch die fortschreitende Verbreitung von Smart Speakern werden die Industrie und die Gesellschaft an sich immer digitaler und intelligenter. Darüber hinaus sind Aspekte wie die Überalterung und Internationalisierung der Arbeitskräfte sowie der Wertewandel und die Diversifizierung eng miteinander verzweigt und sorgen für einen weitreichenden Wandel der Art und Weise, wie wir leben und arbeiten. Obgleich die Wertschöpfung auf ein bislang unerreichtes Maß angestiegen ist, können wir ein rasantes Wachstum der uns zur Verfügung stehenden Informationen direkt beobachten. Die Verarbeitung dieser Informationen gestaltet sich mit dem gleichen Tempo ebenfalls immer komplexer. Es ist an der Zeit, einen neuen Blick auf die Rolle zu werfen, die die Ergonomie bisher gespielt hat. Die Erwartungen sind hoch, dass die Ergonomie zukünftig eine aktive Rolle in Bereichen spielen wird, die sie bislang noch nicht effektiv durchdrungen hat.

Bediener prüft Daten

Yokogawas erklärtes Ziel bei der Auslegung und Gestaltung unter ergonomischen Gesichtspunkten ist es – neben der Schaffung neuer Werte, der Erhöhung der Benutzerfreundlichkeit und der Erzeugung eines ästhetischen Erscheinungsbilds von industriellen Werkzeugen – Designs zu entwickeln, die die Interaktion von Menschen und Systemen effektiv fördern und damit unsere Kunden bei der Verfolgung ihrer Ziele unterstützen.

Dieses Ziel wird durch unser Auslegungskonzept für Kontrollräume veranschaulicht, welche die zentrale Verwaltung von Produktionsanlagen und Instrumenten durch den Betrieb eines Leitsystems ermöglichen. In den Betriebsstätten der Fertigungsindustrie muss die Produktion gleichmäßig und auf sichere Art und Weise erfolgen. Gleichzeitig gilt es, stets ein vorgegebenes Maß an Qualität einzuhalten. Am Beispiel der japanischen Fertigungsindustrie können wir sehen, dass es angesichts der zunehmenden Wettbewerbsintensität auf globaler Ebene möglich war, veraltete Produktionsanlagen zu verbessern und gleichzeitig eine Effizienz auf Weltklasseniveau zu erreichen. Wenn jedoch unvorhergesehene Ereignisse eintreten, besteht die Möglichkeit eines schweren Unfalls, der das Leben der Arbeiter vor Ort gefährden kann. Dies zwingt Bediener dazu, wichtige Entscheidungen zu treffen, wie z. B. den Betrieb der Anlage einzustellen. Die Tatsache, dass der Eintritt derartiger Ereignisse möglich ist, zwingt Bediener dazu, nicht nur die nötige Erfahrung im Betrieb ihrer Anlage zu haben. Vielmehr ist auch ein hohes Maß an technischem Wissen sowie Feingefühl und Bewusstsein für die Situation nötig, um Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Dennoch sind Betriebsumgebungen, die zur Unterstützung beim Fällen solcher Entscheidungen eingerichtet werden, am Ende oft nicht mehr als bloße Räume voller Computer. Und in vielen Fällen werden Aspekte, die zur Entwicklung von Stress beitragen, der letztlich zu menschlichem Fehlverhalten führt, wie z. B. eine angemessene Beleuchtung und die Sicherstellung des nötigen Komforts, einfach übersehen.

In den vergangenen mehr als 40 Jahren hat Yokogawa fast 600 Kontrollräume für Industrieumgebungen entwickelt. Basierend auf einem Designansatz bei dem der Mensch im Zentrum steht, sorgt Yokogawa auch weiterhin für sichere, komfortable und funktionale Bedienerumgebungen. Bediener sind für die Überwachung zahlreicher Fertigungsanlagen und Instrumente von einer Vielzahl an Arbeitsplätzen aus verantwortlich. Daher schlagen wir neben einem Zonenplan, der eine produktive Kommunikation zwischen den Bedienern, die Größe und Positionierung der Monitore und die optimale Anordnung der Arbeitsplätze berücksichtigt, effiziente, stabile Arbeitsumgebungen für Bediener vor. In diesen Umgebungen werden auch angemessene Beleuchtungsniveaus und die Klimatisierung einbezogen, um die körperliche Belastung der Bediener zu reduzieren. Bei der Auslegung von Kontrollräumen achten wir auf jedes Detail. So zum Beispiel auf den Eindruck, den eine bestimmte farbliche Gestaltung auf den Menschen macht, oder auf die Haptik eines Tisches. Aus der Perspektive des „Kansei“, des emotionalen Engineerings, stellt Yokogawa umfangreiche Überlegungen zu den Menschen, den Dingen und der Umgebung an. Wir setzen uns dabei das Ziel, die perfekte Synergie zwischen Komfort und Funktionalität auf einer höheren Ebene zu erreichen.

Darüber hinaus bieten wir im Hinblick auf die Anzeigen und die Alarme zur Betriebsüberwachung (Mittel, mit denen Meldungen über Anomalien im Betrieb generiert werden), die in einem Kontrollraum zum Einsatz kommen, eine intuitive, einfach zu bedienende Betriebsumgebung, die auf Ergonomie und der Theorie des kognitiven Engineerings basiert. Aus Sicht der Ergonomie gibt es eine Reihe von Herausforderungen bezüglich herkömmlicher Anzeigen zur Betriebsüberwachung. So wird beispielsweise für eine Alarmanzeige und einen Pumpenausfall die gleiche Farbe verwendet, was dazu führen kann, dass Anomalien möglicherweise vom Bediener übersehen werden. Ebenfalls werden dem Bediener riesige Datenmengen, wie z. B. zu Temperaturen, zur Verfügung gestellt, ohne dass diese effektiv zusammengefasst werden. Dies kann es schwierig machen, die Daten effektiv zu nutzen und die Betriebssituation genau zu beurteilen. In den letzten Jahren hat sich vor allem in der Fertigungsindustrie eine umfassende Transformation hin zum Internet der Dinge (IoT) vollzogen. Durch diesen erneuten Zuwachs an Informationen, die durch Bediener verarbeitet werden müssen, kann es zu dazu kommen, dass das von den Bedienern geforderte Maß an Verantwortung noch weiter steigt.

Yokogawa hat sich dieser Herausforderung gestellt, indem es Interviews mit Kunden geführt und deren Arbeitsweisen analysiert hat. Basierend auf den Erkenntnissen aus diesen Analysen können nun gezielt Informationen entsprechend der betrieblichen Situation angezeigt werden, was den Bediener vor einer Datenflut bewahrt. Die fokussierte Darstellung (z.B. Sichtbarkeit und visuelle Reize) von Informationen basierend auf ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit in das Auslegungskonzept ermöglicht es den Bedienern, auf natürlichere Art und Weise auf die nötigen Informationen zuzugreifen. Diese Innovationen haben zu einem verbesserten Situationsbewusstsein geführt. Bediener nehmen die aktuelle Situation schneller wahr und verstehen diese besser. Dadurch werden sie in die Lage versetzt, zukünftige Ereignisse mit größerer Genauigkeit vorhersagen zu können. Es sind aber noch einige weitere Verbesserungen zu erwähnen. Beispielsweise eine bessere Visualisierung durch Einsatz von Graphen und eine vereinfachte Navigation durch die Erleichterung des Übergangs von einer Informationsseite zur nächsten. Die Auswahl der richtigen Töne für Alarm-Meldungen und die Optimierung von Schnittstellen-Komponenten wie Touch-Panels und Tastaturen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Yokogawa berücksichtigt im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes alle Aspekte bei der Entwicklung und Konstruktion von fortschrittlichen Mensch-Maschine-Schnittstellen, um den verschiedenen Arbeitsanforderungen unserer Kunden gerecht zu werden.

Ergonomische Bürogestaltung

Diese Wissenschaft wird als „Ergonomie“ oder „Human Factors“ bezeichnet, aber genau wie bei Innovationen in der Technologie und der industriellen Strukturen korreliert und entwickelt sich das Wissen in diesem Bereich im Einklang mit verschiedenen anderen Fachrichtungen, einschließlich der Psychologie, Medizin, Wissenschaft, Technik und letztlich auch der Design-Philosophie. Die Bestrebungen im Bereich der Ergonomie führen zur Entwicklung sicherer, komfortabler und funktionaler Umgebungen durch eine Produktgestaltung, die die Verständlichkeit und Benutzerfreundlichkeit im Fokus hat. Es lassen sich Verbesserungen der Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine ableiten, damit Menschen sachgemäß und effizient arbeiten können. Dies wiederum dient als Anstoß für eine umfassende Prüfung unserer Arbeits- und Lebensweise. Und um auch weiterhin einen hochsicheren und zuverlässigen Betrieb zu realisieren, werden wir uns weiterhin bemühen, ein optimales Gleichgewicht zwischen Komfort und Funktionalität zu erreichen, damit wir Bedienern eine sichere und stressarme Arbeitsumgebung bieten können.

*1 : Definition des Begriffs „Ergonomie“ der International Ergonomics Association (IEA)