CO2-Neutralität: Eine branchenübergreifende Herausforderung | Yokogawa Electric Corporation
Die World Meteorological Organization (WMO) hat 2023 zum wärmsten Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen erklärt. Die globale Durchschnittstemperatur lag 1,45 °C über dem vorindustriellen Niveau. Dieser Anstieg könnte sich fortsetzen und gravierende Folgen für die Umwelt haben – darunter steigende Meeresspiegel, extreme Wetterereignisse und der Verlust der Biodiversität. Trotz internationaler Vereinbarungen und weltweiter Anstrengungen bleibt die Suche nach wirksamen Lösungen eine Herausforderung. Der Global Stocktake1, der auf der 28. Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP28) vorgestellt wurde, zeigt eine alarmierende Differenz zwischen den aktuellen globalen Emissionstrends und den notwendigen Reduktionen, um die Ziele des Pariser Abkommens von 2015 zu erreichen. Dieses Ziel sieht vor, den globalen Temperaturanstieg deutlich unter 2 °C zu halten und anzustreben, ihn auf maximal 1,5 °C zu begrenzen. Doch es wird immer deutlicher, dass dies mit dem bisherigen Kurs kaum zu schaffen ist. Jetzt sind dringend wirksame Maßnahmen gefragt, die über nationale und industrielle Grenzen hinausgehen.
Globale Erwärmung: Ursache liegt im Energieungleichgewicht
― Ziel: Globale CO₂-Emissionen auf „nahezu null“ reduzieren
Als Hauptursache für die globale Erwärmung gilt der Anstieg von Kohlendioxid (CO2) und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre.
Die Erde wird durch die Energie des Sonnenlichts erwärmt und kühlt sich ab, indem sie diese Wärme wieder in den Weltraum abgibt. Dieses Gleichgewicht sorgt dafür, dass die Oberflächentemperatur der Erde stabil bleibt. Treibhausgase fangen einen Teil der Wärme ein und verhindern, dass sie ungehindert in den Weltraum zurückkehrt. Ohne diese Gase würde die Wärme vollständig entweichen, die Durchschnittstemperatur der Erde würde unter den Gefrierpunkt fallen, und der Planet wäre unbewohnbar. Gibt es jedoch zu viele Treibhausgase, bleibt zu viel Wärme auf der Erde, und die Temperaturen steigen an.
Seit der Industriellen Revolution nutzen Menschen fossile Brennstoffe wie Kohle und Öl, um Energie zu gewinnen. Das hat die CO₂-Emissionen stark ansteigen lassen – heute ist die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre etwa 50 % höher als vor der Industrialisierung*2, und trägt erheblich zur globalen Erwärmung bei. Da die Folgen der Erderwärmung immer deutlicher werden, handeln Länder weltweit, um den Klimawandel zu bekämpfen. Menschen passen ihre Wirtschaftsweisen und Lebensstile an, um CO₂-Emissionen zu reduzieren, die Klimaneutralität zu erreichen und den Anstieg der globalen Temperaturen zu begrenzen.
Kohlenstoffneutralität wird erreicht, wenn die Aufnahme von CO₂ durch Wälder und Pflanzen die Emissionen von Treibhausgasen wie CO₂, Methan und Stickoxiden aus menschlichen Aktivitäten ausgleicht. Der Schwerpunkt der Bemühungen liegt derzeit darauf, von fossilen Brennstoffen wegzukommen und erneuerbare Energien zu fördern. Doch der Umstieg ist nicht einfach, denn fossile Brennstoffe sind weit verbreitet – vor allem, weil sie sich leicht transportieren, lagern und verarbeiten lassen.
Zum Beispiel ist es schwierig, eine stabile Versorgung mit Solar- und Windenergie sicherzustellen, da die erzeugte Strommenge je nach Jahreszeit, Wetterbedingungen und Tageszeit schwankt. Batterien könnten als Speicherlösung dienen, doch die heute weit verbreiteten Lithium-Ionen-Batterien (LIBs) bringen auch Nachteile wie ein erhöhtes Brandrisiko mit*3. Auch Wasserstoff als Energieträger ist*4 nicht unkompliziert. Im gasförmigen Zustand benötigt er viel Platz und kann leicht durch kleinste Öffnungen entweichen. Zwar lässt sich Wasserstoff durch Verflüssigung bei -253 °C effizient speichern, doch dieser Prozess verbraucht zusätzliche Energie. Um fossile Brennstoffe durch erneuerbare Energien zu ersetzen, braucht es deshalb ganzheitliche Ansätze. Dazu gehört auch, den passenden Energieträger zu finden, der sich optimal mit erneuerbaren Energiequellen kombinieren lässt.
Es gibt zudem komplexe Herausforderungen, die sich nicht allein aus der Perspektive der Energie lösen lassen. Ein Beispiel ist Ammoniak, das als vielversprechender Energieträger gilt, weil es bei der Verbrennung kein CO₂ ausstößt. Gleichzeitig wird Ammoniak jedoch vor allem als Rohstoff für chemische Düngemittel genutzt. Ein steigender Bedarf als Energieträger könnte daher mit seiner wichtigen Rolle in der Düngemittelproduktion in Konflikt geraten. Mit anderen Worten: Um Klimaneutralität weltweit zu erreichen, reicht es nicht, sich nur auf den Ausbau erneuerbarer Energien zu konzentrieren. Es braucht ganzheitliche Ansätze, die optimale Lösungen für alle Bereiche finden.
Yokogawa ist überzeugt, dass es keine Einheitslösung gibt: Je nach Region, Umwelt und Anwendungsbereich muss eine optimale Kombination aus verschiedenen Methoden und Technologien für den Transport, die Speicherung und die Erzeugung von Energie gefunden werden. Wir setzen dabei auf einen ganzheitlichen Ansatz, der eng verbundene Bereiche wie Energie, Wasser und Nahrung miteinander verknüpft. Gleichzeitig berücksichtigen wir, wie wichtig es ist, Verhaltensmuster der Menschen zu verändern, um nachhaltige Lösungen zu schaffen.
Nahtlose Verbindung individuell optimierter Bereiche
― Den Blick fürs Ganze bei der Entwicklung neuer Energiesysteme
Unternehmen aus vielen Branchen haben große Anstrengungen unternommen, um CO₂-Emissionen zu senken – etwa durch Solarpanels, alternative Brennstoffe und Materialien mit weniger CO₂-Ausstoß sowie energieeffiziente Beleuchtung und Geräte. Diese Maßnahmen helfen zwar der Umwelt, doch manche vergleichen sie mit dem Versuch, ein bereits trockenes Tuch auszuwringen. Mit solchen traditionellen Ansätzen allein werden wir die Klimaziele nicht erreichen. Wir müssen neue Wege gehen und das Tempo unserer Anstrengungen erhöhen, um die Welt nachhaltig zu verbessern.
In den letzten Jahren rückt das Konzept der „industriellen Symbiose“ immer mehr in den Fokus. Dabei arbeiten verschiedene Branchen und Unternehmen zusammen, nutzen ihre Ressourcen gegenseitig und schaffen so nachhaltige Geschäftsmodelle. Yokogawa verfolgt die Idee einer Vernetzung von Energiesystemen, bei der traditionell getrennt optimierte Systeme und Lieferketten miteinander verbunden und harmonisch integriert werden. Wir glauben, dass ein Blick über Unternehmens- und Branchengrenzen hinaus bei der Neugestaltung von Energiesystemen entscheidend ist, um die Umweltbelastung weiter zu reduzieren.
Vor diesem Hintergrund erforscht Yokogawa Möglichkeiten für industrielle Symbiosen, bei denen Unternehmen und Branchen enger zusammenarbeiten. In diesem Rahmen haben wir eine Initiative für die Kreislaufwirtschaft gestartet, um CO₂-Emissionen aus Industrieanlagen wiederzuverwenden. Ein Beispiel dafür ist unsere Zusammenarbeit mit einem großen polnischen Energieunternehmen, das synthetischen Flugkraftstoff aus Kohlendioxid und grünem Wasserstoff herstellen möchte. Dabei sollen CO₂-Emissionen aus Kraftwerken, Zementfabriken und Stahlwerken genutzt werden, während der Wasserstoff durch Elektrolyse mit erneuerbarer Energie erzeugt wird. Mit Hilfe von Yokogawas Digital-Twin-Technologie werden präzise Modelle erstellt, um die Herstellungsprozesse zu simulieren, zu optimieren und die wirtschaftlichste sowie umweltfreundlichste Synthesemethode auszuwählen. Neben der deutlichen Reduzierung der industriellen Treibhausgasemissionen wird der herzustellende synthetische Kraftstoff nicht nur in der Luftfahrt, sondern auch in anderen Industriezweigen eingesetzt werden. Da seine Eigenschaften mit herkömmlichem, erdölbasiertem Kraftstoff vergleichbar sind, kann er in der bestehenden Infrastruktur für Lagerung, Transport und Fahrzeuge eingesetzt werden.
Wir setzen außerdem Software ein, um die Übertragung und Verteilung von Strom zu optimieren und so eine Sharing Economy zu schaffen, in der Strom flexibel ausgetauscht werden kann. Durch das Auslesen und Analysieren von Stromnetz-Daten, die 60 Mal pro Sekunde erfasst werden, sowie den Einsatz von maschinellem Lernen zur automatischen Steuerung von Stromerzeugungs- und Speichereinrichtungen in hoher Geschwindigkeit, tragen wir dazu bei, Effizienz und Produktivität zu maximieren. Ein australisches Energieunternehmen nutzt diese Technologie, um die Effizienz einer Anlage zur Erzeugung erneuerbarer Energien zu steigern. Damit wird eine Einsparung von 55.000 Gigajoule Erdgas pro Jahr und eine Reduktion von 3.000 Tonnen CO₂-Emissionen jährlich erwartet. Der Beitrag für die Umwelt entspricht dem Effekt, als würde man 1,25 Millionen Zedernbäume pflanzen, um CO₂ zu absorbieren.
Ein Beispiel für branchenübergreifende Zusammenarbeit ist eine Initiative im Hafengebiet von Rotterdam in den Niederlanden. Die teilnehmenden Unternehmen arbeiten eng zusammen, während sie gleichzeitig die Vertraulichkeit ihrer Informationen wahren. Yokogawa ist weder ein Konkurrent dieser Unternehmen noch Teil eines anderen Konzerns und kann diese neutrale Position nutzen, um die Versorgung und den Bedarf an Strom, Wärme, Wasser sowie industriellen Gasen wie Wasserstoff und CO₂ zu optimieren. Zudem untersucht Yokogawa, wie diese Ressourcen durch eine intensivere Zusammenarbeit effektiver genutzt werden können. Erste Studien zeigen, dass eine Optimierung von Angebot und Nachfrage bei Strom und anderen Ressourcen zwischen Unternehmen die Kosten um 5 % senken kann. Bei langfristiger und tiefergehender Zusammenarbeit könnten sogar Verbesserungen von bis zu 10 % erreicht werden.
Im Rahmen seines langfristigen Geschäftsmodells verfolgt Yokogawa das Konzept des „System of Systems“ (SoS). Dieses Konzept basiert auf der Idee, dass unabhängig betriebene und verwaltete Systeme, die miteinander vernetzt sind, Ziele erreichen können, die ein einzelnes System allein nicht erreichen könnte. Ein Beispiel dafür ist die Vernetzung von Fabriken, Unternehmen, Lieferketten und sozialen Ökosystemen durch die gezielte Nutzung unseres Know-hows in der Betriebstechnologie (OT), Informationstechnologie (IT) und unserer Integrationskompetenz. Durch die gezielte Nutzung seiner Vernetzungskompetenz engagiert sich Yokogawa dafür, durch ganzheitliche Optimierung neue Werte zu schaffen und zur Verwirklichung einer kohlenstoffneutralen Gesellschaft beizutragen.
Die Ära der globalen Erwärmung ist vorbei; die Ära des globalen Siedens hat begonnen. Es ist noch möglich, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu vermeiden. Doch dafür braucht es drastische und sofortige Klimamaßnahmen.
- António Guterres, United Nations Secretary-General
Referenzen
*1 Global Stocktake (GST): Die „globale Bestandsaufnahme“ ist eine umfassende Bewertung der weltweiten Fortschritte im Klimaschutz.
*2 Japan Meteorological Agency: Jährliche Veränderungen der atmosphärischen Kohlendioxidkonzentrationen und jährliche Zunahmen an den Beobachtungspunkten der Japan Meteorological Agency (auf Japanisch) https://www.data.jma.go.jp/ghg/kanshi/ghgp/co2_trend.html
*3 Kabinettssekretariat: Über sektorale Investitionsstrategien (auf Japanisch) Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie: Speicher-Batterie-Industrie-Strategie (auf Japanisch) https://www.cas.go.jp/jp/seisaku/gx_jikkou_kaigi/senmonka_wg/dai3/siryou.pdf
Ministry of Economy, Trade and Industry: Storage Battery Industry Strategy (in Japanese)
https://www.meti.go.jp/policy/mono_info_service/joho/conference/battery_strategy/battery_saisyu_torimatome.pdf
*4 Substanzen, die zur Speicherung und zum Transport von Energie verwendet werden. Zu den spezifischen Beispielen gehören verflüssigter Wasserstoff, organisches Hydrat (MCH), Ammoniak und synthetisches Methan.