--------------Smart Industry Readiness Index unterstützt auf dem Weg zur Industrie 4.0--------------
Wieviel Digitalisierung sinnvoll ist, muss jedes Unternehmen für sich entscheiden – den einen richtigen Weg gibt es nicht. Markt, Branche, Produkte und Organisation sind nur einige der Parameter, die die Entscheidung leiten. Eine Reifegradmessung kann helfen, den Digitalisierungsprozess zu strukturieren und Aufgaben zu priorisieren. CHEManager sprach darüber mit Silke Müller, Consultant für Data Analytics bei Yokogawa Deutschland und eine von den rund 30 zertifizierten SIRI-Assessorinnen in Europa. Das Gespräch führte Volker Oestreich.
CHEManager: In Deutschland steht die große Mehrheit gerade der kleinen und mittleren Unternehmen noch am Anfang der Digitalisierung und Vernetzung. Die Schlagzahl muss steigen – aber wie weiß man, dass man den richtigen Weg eingeschlagen hat?
Silke Müller: Um Unternehmen auf dem Weg der digitalen Transformation zu unterstützen, hat sich der Einsatz eines Reifegradmodells als generell sinnvoll erwiesen: Es gibt Aufschluss darüber, wo das Unternehmen auf dem Weg der Digitalisierung steht, und hilft dabei, die bestehenden Industrie-4.0-Projekte systematisch voranzutreiben oder neue Initiativen zu starten. Denn wer seine aktuelle Situation erst einmal wirklich versteht, kann auch die richtigen Entscheidungen darüber treffen, worauf die Unternehmung sich konzentrieren sollte.
Es gibt eine ganze Reihe an Reifegradmodellen, die ein Unternehmen zur Evaluierung des digitalen Status quo nutzen kann, einige sind sogar frei im Internet verfügbar. Wie kann man da den Überblick behalten und für das eigene Unternehmen die richtige Wahl treffen?
S. Müller: Tatsächlich gibt es viele verschiedene Reifegradmodelle auf dem Markt. Sie rangieren zwischen den Quick-Checks, die im Internet frei verfügbar sind, bis hin zu individuellen Reifegraduntersuchungen, die von externen Beratern angeboten werden. Letztere leiten nach der Reifegradbestimmung in der Regel auch konkrete Handlungsempfehlungen daraus ab.
Wer sich mit den verschiedenen Angeboten auseinandersetzt, kann da schon mal den Überblick verlieren. Hier hilft die VDI/VDE Richtlinie 4000 „Auswahl von Industrie-4.0-Reifegradmodellen zur digitalen Transformation produzierender Unternehmen“. In ihr sind alle relevanten Reifegradmodelle gesammelt und mit einer Matrix unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet. Dazu zählen unter anderem ein benötigtes Vorwissen, die Analyse der Ist-Situation, evaluierte Unternehmensbereiche oder Darstellung der Ergebnisse. Kombiniert mit einem Fragenkatalog, der die Bedürfnisse des Unternehmens ermittelt, lässt sich auf diesem Weg das geeignetste Modell bestimmen, das die jeweiligen Ansprüche erfüllt. Und nicht jedes Unternehmen benötigt direkt fachliche Unterstützung oder eine definierte Roadmap. Manchmal reicht es auch aus, eine erste einfache Einordnung vorzunehmen.
Sie setzen gezielt auf SIRI, den Smart Industry Readiness Index. Was genau ist SIRI und wie unterscheidet er sich von anderen Modellen?
S. Müller: SIRI ist ein Reifegradmodell, das vom Weltwirtschaftsforum als weltweiter Standard für die 4.0-Transformation in der Industrie anerkannt wurde. Entwickelt wurde es vom Singapore Economic Development Board EDB in Zusammenarbeit mit führenden Technologieunternehmen, Beratungsfirmen sowie Experten aus Industrie und Wissenschaft.
SIRI gehört zur Kategorie „Themengenerator“ und geht weit über einen Quick-Check hinaus. Neben der Beurteilung des Status Quo werden insbesondere die Handlungsfelder bestimmt, die für das Unternehmen unter seinen individuellen Voraussetzungen den größten Nutzen haben. Dieses Wissen ist für die Unternehmen extrem wertvoll, weil sie hiermit die weiteren Schritte sehr effizient planen können. Im Gegensatz zu vielen anderen Modellen konzentriert sich SIRI nicht nur auf die Technologie, sondern nimmt auch Prozesse und die Organisation mit Blick auf die Mitarbeiter und das Management unter die Lupe. Er beleuchtet alle relevanten Unternehmensbereiche, was für ein aussagekräftiges Resultat von großer Bedeutung ist. Ein strukturiertes Framework erleichtert dabei das Verfahren, sodass die Erarbeitung in relativ kurzer und konzentrierter Zeit erfolgt und in allen Industriezweigen und für jede Unternehmensgröße anwendbar ist. Die Ergebnisse lassen sich in einem Benchmark zusammenfassen und in die Bestimmung des Reifegrads einbinden. Das gibt den Unternehmen die Möglichkeit, sich innerhalb ihres Industriezweigs mit den Besten zu vergleichen und von deren Fortschritt zu profitieren.
Vergleichbarkeit ist gut, aber wie starte ich überhaupt in einen Digitalisierungsprozess?
S. Müller: SIRI unterstützt die Umsetzung von Industrie-4.0-Konzepten. Daher ist es zunächst einmal wichtig, hierfür ein geneinsames Verständnis zu schaffen. Das EDB hat mit dem LEAD-Framework einen pragmatischen Rahmen entwickelt, der die erforderlichen Schritte in einfacher Form beschreibt: Die Schritte Learn – Evaluate – Architect – Deliver beschreiben einen wiederkehrenden Zyklus zum Starten und Skalieren von Transformationsprozessen. SIRI ordnet sich in den Schritt Evaluate, das heißt, in die Bewertung des Industrie-4.0-Reifegrads, ein.
SIRI Assessments werden durch Certified SIRI Assessors durchgeführt, die über Consulting-Erfahrungen verfügen und ein durch den TÜV Süd zertifiziertes Training absolviert haben müssen. Wie sieht so ein Assessment aus, wenn Sie es mit einem Unternehmen durchführen?
S. Müller: Das SIRI Assessment führe ich mit dem Kunden in einem zweitägigen Workshop durch. Voraussetzung ist ein interdisziplinär zusammengesetzter Teilnehmerkreis seitens des Unternehmens, der aus Fachexperten und Entscheidungsträgern besteht. Begonnen wird mit der Ermittlung des Status Quo. Um das ganze Unternehmen abzubilden, werden die drei Bausteine Technologie, Prozesse und Organisation betrachtet. Konkret geht es um die acht Hauptbereiche Operativer Betrieb, Lieferkette, Produktlebenszyklus, Automatisierung, Vernetzung, Intelligenz, Mitarbeiterbereitschaft sowie Struktur und Management. Diese werden letztlich in 16 Unterkategorien beziehungsweise 16 Dimensionen heruntergebrochen, die wir einzeln bewerten.
Als Assessorin helfe ich dabei, dass die Teilnehmenden die unterschiedlichen Reifegradstufen der einzelnen Dimensionen verstehen und begleite die Diskussion mit gezielten Fragen. Dabei geht es nicht darum, eine möglichst gute Bewertung in allen diesen 16 Dimensionen zu erlangen. Vielmehr ist ein gemeinsames Verständnis, also ein Konsens zur aktuellen Situation notwendig. Erst auf dieser Basis können Entscheidungen darüber getroffen werden, worauf sich die weiteren Aktivitäten konzentrieren sollten. Diesen Diskurs gerade zu Beginn des Transformationswegs halte ich für einen besonders wichtigen Faktor, was sich im Übrigen auch mit der Rückmeldung unserer Kunden deckt, die bereits ein SIRI Assessment durchlaufen haben.
Und wie geht es dann weiter?
S. Müller: Im zweiten Schritt geht es darum, die Handlungsfelder mit dem größten Verbesserungspotenzial zu identifizieren. Hierzu werden eine einfache Kostenstruktur des Unternehmens, die strategischen Ziele in Form von KPI sowie der Benchmark gegenüber den Besten des eigenen Industriezweigs zugrunde gelegt. Gewichtet nach Relevanz der Kennzahlen auf die einzelnen. Dimensionen ergeben sich so die Dimensionen mit dem größten Verbesserungspotenzial. Anhand der Ergebnisse des Assessments, die in einem ausführlichen Bericht zusammengefasst werden, kann das Unternehmen schließlich einen konkreten Transformationsfahrplan erstellen.
Das SIRI Assessment ist hiermit zunächst einmal abgeschlossen, doch eine strategische Transformation erfordert die kontinuierliche Überprüfung des Status, um die Transformationsinitiativen bewerten und steuern zu können. Daher ist das LEAD-Konzept als zyklisches Verfahren gedacht, das wiederkehrend durchlaufen wird. SIRI hilft damit nicht nur, den aktuellen Status Quo zu bestimmen, sondern auch den Erfolg messbar zu machen.
Die gestiegene Volatilität der Märkte ist für viele Produzenten eine große Herausforderung. Starke Schwankungen im Auftragseingang erfordern Flexibilität in der Produktion. Wo kann SIRI hier ansetzen und helfen?
S. Müller: Diese Tendenz beobachten wir zunehmend. Leider ist das aber häufig nicht die einzige Herausforderung, der sich Unternehmen stellen müssen. Nehmen wir beispielsweise mal die alternde Gesellschaft und den damit verbundenen Fachkräftemangel, der in den nächsten Jahren ein immer drängenderes Thema sein wird. Oder die zunehmenden Anforderungen an den Klimaschutz. Alles zusammen macht eine strategische Ausrichtung natürlich nicht einfach. SIRI berücksichtigt all diese Aspekte in Form von KPI.
Bleiben wir bei der Volatilität der Märkte: Typische KPI sind hier die Flexibilität der Produktion, beispielsweise durch den Einsatz modularer Anlagen, Mitarbeiterflexibilität und die Effektivität der Planung und Terminierung entlang der Wertschöpfungskette. Gehen wir mal davon aus, der Kunde wählt die Mitarbeiterflexibilität als die für ihn relevanteste KPI. SIRI bewertet nun die Relevanz dieser KPI in Bezug auf die 16 Dimensionen. Denkbar sind durchgängige Planungstools, um die Mitarbeiter in der Produktion flexibel einsetzen zu können, sowie vernetzte, intelligente Systeme, die bestenfalls Abweichungen vorhersagen, diagnostizieren und selbständig hierauf reagieren können.
Sind solche Maßnahmen immer im Einklang mit der existierenden Unternehmenskultur umzusetzen?
S. Müller: Natürlich spielt die Unternehmenskultur eine große Rolle, denn die teilweise großen Umbrüche müssen von den Mitarbeitern mitgetragen werden. Teilweise muss auch ein Umdenken bei gewachsenen Strukturen stattfinden, wie beispielsweise der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit.
Volatilität benötigt vor allem Adaptivität in der Lern- und Entwicklungsbereitschaft der Mitarbeiter, Führungskompetenz, Zusammenarbeit innerhalb und gegebenenfalls auch außerhalb des Unternehmens sowie eine klare Strategie und Führung, kurz: alle Dimensionen der Säule „Organisation“ sind von Relevanz. Die Auseinandersetzung mit diesem oft vernachlässigten Thema ist wichtig. Welche der Dimensionen diejenigen mit dem größten Hebel sind, ergibt sich letztlich in Kombination mit den anderen für das Unternehmen relevanten Faktoren, wie dem Fachkräftemangel oder einer nachhaltigen Produktion.
SIRI hilft also in der Priorisierung, aber auch, wichtige Aspekte nicht aus den Augen zu verlieren. Viele Projekte laufen nach wie vor ad hoc ohne klare Strategie des Managements. Dabei zeigen Umfragen ganz klar einen deutlich höheren wirtschaftlichen Benefit für Unternehmen mit einer umfassenden Industrie-4.0-Strategie.
Eine Reifegradmessung kann helfen, den Digitalisierungsprozess zu strukturieren und Aufgaben zu priorisieren. CHEManager sprach darüber mit Dr. Silke Müller, Consultant für Data Analytics bei Yokogawa Deutschland.