Leitschnur zum Erfolg
PLS-Migration: Flexibilität ergänzt methodische Projektdurchführung – Die Migration von Prozessleitsystemen kann aus verschiedenen Gründen unumgänglich sein. Entweder wird das Altsystem abgekündigt, sodass keine Ersatzteile und kein Fachwissen zur Fehlerbehebung mehr zur Verfügung stehen, oder die gewünschten, modernsten Funktionalitäten sind im Altsystem einfach nicht vorhanden. In jedem Fall ist eine sorgfältig geplante Migrationsstrategie erforderlich, um Verzögerungen, Ausfälle oder gar ungeplante Stillstände zu vermeiden.
Novo Nordisk ist in erster Linie als weltweit größter Anbieter von Insulin bekannt. Am dänischen Standort Gentofte bei Kopenhagen stellt das multinationale Pharmaunternehmen weitere physiologisch aktive Peptide her, zum Beispiel den Insulinantagonisten Glucagon, Wachstumshormone oder Blutgerinnungsfaktoren zur Behandlung von Hämophilie. Bei all diesen biotechnologisch hoch anspruchsvollen, komplexen Herstellprozessen lebenswichtiger. Produkte ist die ständige Verfügbarkeit von Hilfsstoffen von entscheidender Bedeutung. Dazu zählen vor allem Wasser, aber auch Dampf, Druckluft, Säuren und Basen zur pH-Einstellung sowie Gase. Beispielsweise werden jeden Tag allein bis zu 150 Kubikmeter hoch gereinigtes, steriles „Water for Injection“ eingesetzt: zum einen als Reaktionsmedium, aber auch zur Reinigung der Anlagen sowie bei der Abwasseraufbereitung,vor allem zur Pasteurisierung.
In einem Anlagenkomplex in Gentofte stand die Migration des Prozessleitsystems für die Bereitstellung dieser Hilfsstoffe an – eine besondere Herausforderung, da Stillstandszeiten der Anlagen auf ein absolutes Minimum reduziert werden müssen. „Dies war eine unserer Hauptanforderungen. Wir beschlossen daher, zunächst ein Pilotprojekt in einer zleineren Anlage am Brogårdsvej durchzuführen“, erklärt Kian Rolin Stenberg, Senior Project Manager bei Novo Nordisk.
Einen für dieses Projekt geeigneten Anbieter auszuwählen, hat einige Zeit erfordert. Yokogawa gewann die Ausschreibung und konnte das Altsystem von Texas Instruments im Jahr 2014 reibungslos durch ein „Distributed Control System“ (DCS) vom Typ Centum VP 5 ersetzen. „Dieser Erfolg war zugleich der Startpunkt für das größere Projekt, das die Migration aller Steuerungen zur Hilfsstoffversorgung im Hagedornsvej von Siemens S5 auf Centum VP betraf“, erläutert Stenberg. Ein einwöchiger, regulärer Stillstand im Sommer und drei lokale Abschaltungen pro Jahr in einzelnen Anlagen mussten für die Migrationsaktivitäten ausreichen, die nicht im laufenden Betrieb durchgeführt werden konnten. „Das war eine ziemliche Herausforderung und der Hauptgrund dafür, diese Aktivitäten über mehrere Jahre zu verteilen“, gibt Nanjappan Elango, Head of Project Engineering DCS bei Yokogawa, zu.
Planung + Flexibilität = Erfolg
„Jeder Migrationsschritt musste sorgfältig geplant und organisiert werden, um sicherzustellen, dass die Produktion nach den Abschaltungen ohne weitere Verzögerung wieder aufgenommen werden konnte“, erklärt Elango. Mehr als 70 Seiten sehr detaillierte Planungsdokumente – ein Lieferantenqualifizierungs- und ein Projektdurchführungsplan – zeugen davon, wie wichtig es ist, bei einem solch komplexe Projekt Verantwortlichkeiten klar zuzuordnen, Zeitpläne, Schnittstellen und Meilensteine zu definieren. Dies gilt umso mehr in einem stark regulierten Umfeld wie der pharmazeutischen Industrie, wo die strikte Einhaltung vielfältiger Regeln und Vorschriften Voraussetzung für die endgültige Prozessqualifizierung ist. Allerdings – und auch hierin sind sich Stenberg und Elango einig – kann auch eine noch so gute Planung nicht alles berücksichtigen, was in einem mehrjährigen Projekt passieren kann. Flexibilität ist daher ebenso wichtig, um Probleme oder neu auftretende Aufgaben und Herausforderungen anzugehen und zu lösen.
Nach einem konzeptionellen Entwurf und einer detaillierten Analyse startete das Projekt im Herbst 2016. Zunächst wurde neue Hardware in den Server- und Kontrollräumen am Hagedornsvej installiert, die zuvor von Novo Nordisk mit zusätzlicher Kühlkapazität ausgestattet worden waren.
Alle Hard- und Softwarekomponenten wurden bereits am deutschen Yokogawa- Standort in Ratingen entworfen, produziert, montiert und getestet, bevor sie nach Dänemark verschifft wurden. Die Designphase wurde so weit wie möglich mit der Qualifizierungsund Validierungsphase integriert, die hauptsächlich am Standort von Novo Nordisk stattfand. Alle Aktivitäten wurden gemäß GAMP 5 geplant, durchgeführt und dokumentiert, um auch die Anforderungen der Good Manufacturing Practices (GMP) zu erfüllen. Das nahtlose Zusammenspiel von Good Engineering Practices und GMP führte außerdem zu Zeitund Kosteneinsparungen.
Zudem sollte die Steuerung aller Versorgungsfunktionen des gesamten Standorts am Hagedornsvej zentralisiert werden. Dies erforderte auch die Anbindung des etwa einen Kilometer entfernten Brogårdsvej-Systems. Dafür konnte nach einer Aktualisierung des dortigen Centum VP vorher ungenutzte Kapazität in einem existierenden Glasfaserkabel genutzt werden.
Weitere Migrationsschritte im Detail
Parallel zur Hardware-Installation am Hagedornsvej begann der schrittweise Austausch und das Re-Engineering der alten Steuerungen durch Remote-I/O- und Ventilblöcke in den Anlagen – ein Prozess, der sorgfältig mit lokalen und standortweiten Stillstandszeiten synchronisiert wurde und bis Herbst 2019 andauerte. Insgesamt mussten 46 Remote-I/OEinheiten und 51 Ventilblöcke in insgesamt 54 Feldboxen installiert werden. „Das klingt nicht weiter kompliziert, kann aber in einer bestehenden Anlage aufgrund der räumlichen Enge rund um die Installationsorte ziemlich herausfordernd sein“, sagt Elango. Bei der Verdrahtung bzw. Karteninstallation mussten Fehlschaltungen oder ein Verwechseln von Kabeln sicher ausgeschlossen werden. Elango: „Alles musste auf Herz und Nieren geprüft werden!“
Für die Bedienmannschaft wurden sechs Clients in den Reinraumbereichen verschiedener Anlagen installiert. Weitere drei Clients befinden sich in der Leitwarte. „Besonders nützlich war die Installation von Terminalservern, die einen Fernzugriff auf das Leitsystem ermöglichen, zum Beispiel von einem mobilen Gerät im Feld oder sogar von zu Hause aus“, betont Stenberg. Die Nutzung von Echtzeitdaten zusammen mit externem Personal kann auch bei der Fehlersuche sehr hilfreich sein.
Im Zuge der Migration wurden zudem vier bereits vorhandene Siemens S7-Systeme zunächst über Modbus mit dem neuen Centum VP-System verbunden. Nach Abschluss der Migration entschied sich Novo Nordisk im Jahr 2020 für eine vollständig einheitliche Steuerungslandschaft. Daher wurden die S7-Systeme so modifiziert, dass sie als Remote- I/O genutzt und ebenfalls über Profibus an das DCS angeschlossen werden konnten.
Den Stand der Technik erhalten
Um Novo Nordisk das aktuellste System zur Verfügung zu stellen, erfolgte im Juni 2021 ein weiteres Update auf Centum VP Version 6.07, verbunden mit dem Austausch von Bedienstationen, die bereits nicht mehr zur neuesten Hardware-Generation gehörten.
„Bei Projekten mit mehrjähriger Laufzeit machen immer kürzere IT-Lebenszyklen dies notwendig, um Probleme zu vermeiden, die durch veraltete HMI-Hardware entstehen könnten“, betont Elango. Das letzte kleinere Update innerhalb von Centum VP 6.07 wurde im August 2021 durchgeführt. Zeitgleich wurde noch ein zusätzlicher Client installiert.
Anforderung von Novo Nordisk war ein zuverlässiges Serviceangebot für das neue System, das nicht von wenigen oder gar nur einer Person abhängig sein sollte, wie es bei Altsystemen oft der Fall ist. Yokogawa erfüllt diese Anforderung durch das Angebot – und die dringende Empfehlung – von Serviceverträgen. Sie gewährleisten den reibungslosen Betrieb des installierten Systems, eine schnelle Fehlerbehebung im Falle von Problemen und eine erfahrene Unterstützung bei technischen Änderungen in den Anlagen. Neben dem Fernsupport gehört dazu auch die regelmäßige Wartung vor Ort mindestens einmal im Jahr.
Auf dem Weg in eine datengetriebene Zukunft
Im Zuge der Migration wurde zudem ein Exaquantum-Server im Serverraum installiert, der als Plant Information Management System (PIMS) für das Hilfsstoff- Leitsystem dient. Damit ist es erstmals möglich, alle verfügbaren Daten aus dem System – einschließlich der Echtzeit-TOC- (Total Organic Carbon) und Leitfähigkeitswerte des Wassers – an einem Ort zu bündeln und weitergehende Analysen sowie verschiedene Trendberechnungen durchzuführen.
Yokogawa lieferte Novo Nordisk ein hochmodernes Steuerungssystem für die Hilfsstoffproduktion am Standort Gentofte. Stenberg fasst zusammen: „Ich bin sehr, sehr zufrieden mit dem, was erreicht wurde und wie es erreicht wurde. Das gilt ebenso für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit während der langen Projektlaufzeit. Neben einer soliden Planung ist eine solch gute Zusammenarbeit auf persönlicher Ebene absolut entscheidend für den Erfolg.“
Neue Projekte zeichnen sich bereits am Horizont ab. So können die PIMS-Daten den Weg zu einem besseren Verständnis und einer besseren Nutzung der Energieströme innerhalb des Versorgungssystems ebnen und voraussichtlich zu Energieeinsparungen führen. Das Potenzial einer solchen Analyse und Optimierung wird derzeit von Novo Nordisk und Yokogawa untersucht und diskutiert. Ein weiterer positiver Effekt der PIMS-Daten könnte sich aus ihrer Verwendung in „Instant Release“-Prozessen ergeben, was zu höherer Anlagenproduktivität führen könnte.